Überblick:
“Polizei und Geflüchtete im Dialog” heißt unser zweites großes Kooperationsprojekt, das wir 2021 mit dem Polizeipräsidium München gestartet haben und mittlerweile in Augsburg im zweiten Jahr zusammen mit dem Polizeipräsidium Schwaben Nord erfolgreich weiterführen. Das Projekt hat zum Ziel, das Vertrauen zwischen der Deutschen Polizei und Geflüchteten nachhaltig zu stärken. Dies soll in erster Linie durch das gegenseitige Kennenlernen auf menschlicher Ebene und durch gemeinsame Erlebnisse gelingen.
Klingt einfach? Ist es aber nicht. Denn Vertrauensaufbau ist ein vielschichtiger Prozess, der nicht nur reichlich Geduld, sondern auch viel guten Willen erfordert – und zwar von beiden Seiten.
Warum ist das Projekt erforderlich?
Oft kommt es beim Kontakt von Polizeibeamt:innen und Geflüchteten zu negativen Erlebnissen. Typische Beispiele für Konflikte sind häufige Ausweiskontrollen oder eskalierende Polizeieinsätze in Unterkünften. Leider passiert es viel zu selten – oder auch gar nicht – dass sich beide Gruppen auf neutraler oder sogar positiver Ebene begegnen.
Natürlich ist nicht klar feststellbar, weshalb der Umgang miteinander für beide Seiten so schwierig ist, und warum es überhaupt – auch ohne objektiven Grund – so häufig zu Zusammenstößen kommt. Die Entstehung von Konflikten ist immer abhängig von der individuellen Einsatzsituation, das sollte klar sein.
Dennoch gibt es Faktoren, die in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle spielen. Dazu gehört,
– dass sich Geflüchtete von der Polizei oft rassistisch oder voreingenommen behandelt fühlen (Racial profiling),
– das auch die Beamt:innen sich falsch verstanden fühlen,
– dass kulturelle Missverständnisse oder Sprachbarrieren Einsätze oft zur Herausforderung für beide Seiten machen,
– dass Geflüchtete die deutsche Polizei oft falsch einschätzen, weil sie sie mit Polizeigewalt im eigenen Herkunftsland in Verbindung bringen, und
– dass häufig zu wenig Aufklärung über die Aufgaben und Befugnisse der Polizei in Deutschland vorliegt.
Um dieser schwierigen Ausgangslage entgegenzuwirken, braucht es Formate, die Begegnung auf neutraler Ebene möglich machen. Zentrale Voraussetzung ist, dass dabei beide Seiten aufeinander zugehen und voneinander lernen. Nicht nur die Geflüchteten sollen die polizeilichen Arbeitsstrukturen besser verstehen lernen. Auch die Beamt:innen sollen
mehr (interkulturelle) Kompetenzen erwerben und diese vertiefen, um bei schwierigen Einsatzlagen (kultur)sensibel handeln zu können.
Inhalte, Zielgruppe und Wirkung des Projekts:
Unser Lösungsansatz ist das Angebot vertrauensfördernder Gruppenveranstaltungen und später auch inhaltlicher Einheiten zu ausgewählten Themen. Die Veranstaltungen finden vor Ort in Unterkünften für Geflüchtete statt. Bei den Veranstaltungen kommen Polizeibeamt:innen und die Bewohner:innen der Unterkünfte zusammen.
Die Beamt:innen werden begleitet von ehrenamtlichen Unterstützer:innen mit eigener Migrationserfahrung. Gemeinsam wirken sie vor Ort als “Kulturmoderator:innen”-Teams. Die Kulturmoderator:innen erhalten ihre vorbereitende Qualifizierung im Vorfeld ihrer Einsätze im Rahmen des Co-Projekts “Gemeinsam interkulturell stark” in Kooperation mit dem Büro für gesellschaftliche Integration der Stadt Augsburg und mit finanzieller Unterstützung der Stadt. Im Anschluss an ihre Qualifizierung bilden die Absolvent:innen multikulturelle Teams und werden in den Unterkünften aktiv. Pro Team arbeiten zwei bis maximal fünf Kulturmoderator:innen zusammen, je nach Größe der Unterkunft und der geplanten Maßnahme.
Bei den gemeinsamen Veranstaltungen von Kulturmoderator:innen-Teams und Bewohner:innen geht es in keiner Weise um Belehrungs- oder “Erziehungs”-Maßnahmen. Das tatsächliche Ziel ist denkbar simpel: Gegenseitiges Kennenlernen der Polizist:innen und Unterkunftsbewohner:innen durch gemeinsame Aktivitäten und Erlebnisse. So entsteht die Möglichkeit für ungezwungene Begegnung und nachhaltiges Vertrauen.
Da es sich stets um offene Veranstaltungsangebote handelt, wird außerdem niemand zur Teilnahme gezwungen. Wer Zeit und Lust hat, kann mitmachen. Wer die Veranstaltung früher verlassen möchte, kann dies ebenfalls tun. Wesentlich ist, dass der Kontakt überhaupt entsteht.
Welche Veranstaltungsformate gibt es?
Gestartet wird mit vertrauensfördernden Maßnahmen. Dazu gehören u.a. Sport, Museumsbesuche, gemeinsames Kochen oder Grillen, offene Frage- und Antwortstunden und das Anschauen eines Polizeiautos sowie das Ausprobieren der Polizeiausrüstung. Bei der Maßnahmenplanung arbeiten wir eng mit dem Betreuungspersonal in den Unterkünften zusammen. Denn letztlich sind es die Einrichtungsleitungen, Sozialpädagog:innen und pädagogischen Unterstützungskräfte, die die Interessen und Bedürfnisse, aber auch individuellen Probleme der Bewohner:innen am besten kennen. Entsprechend werden Maßnahmen so geplant, dass die untergebrachten Männer, Frauen und Kinder bestmöglich mit den Angeboten erreicht werden.
Den erfolgreichen Vertrauensaufbau sehen wir als Voraussetzung für den Einstieg in inhaltliche Maßnahmen. Ist erstmal eine stabile Vertrauensbasis geschaffen, kann mit interaktiven Gruppenworkshops rund um das Thema Präventionsarbeit begonnen werden. Diese Workshops bilden den zweiten großen Block an Veranstaltungsangeboten.
Wie die vertrauensfördernden Maßnahmen werden auch sie von multikulturellen Kulturmoderator:innen-Teams angeleitet. Wichtig ist dabei auch die regelmäßige Zusammenarbeit mit Kooperationspartner:innen. So arbeiten wir in Augsburg zum Beispiel mit der b-box des Stadtjugendrings, sowie der Organisation via – Wege aus der Gewalt zusammen, um zum Beispiel ein Frauencafé zum Thema „friedliches Zusammenleben“ anzubieten.
Die wichtigsten Präventionsthemen in unseren Workshops in Augsburg sind 2023, friedliches Zusammenleben / häusliche Gewalt, Neue Medien / Gefahren des Internets, Mobbing, Zivilcourage, und Verkehrssicherheit.
Nach Workshopende ist immer Zeit für eine offene Diskussion des Erlebten sowie für weitere Fragen.
Zielgruppe
Die Zielgruppe von “Polizei und Geflüchtete im Dialog” sind Bewohner:innen von Unterkünften für Geflüchtete. Die Teilnahme am Projekt ist sowohl für Gemeinschaftsunterkünfte, dezentrale Unterkünfte, Einrichtungen zur Erstunterbringung, wie z. B. Ankerzentren, sowie für Wohnprojekte für bereits anerkannte, wohnungslose Geflüchtete möglich.
Faktoren wie der aktuelle aufenthaltsrechtliche Status der Bewohner:innen, ihre bisherige Verweildauer in Deutschland oder der Stand ihrer Deutschkenntnisse stellen also keine Kriterien für die Auswahl unserer Wirkungsstandorte dar – das ist uns wichtig. Auch sollen natürlich das Alter, das Geschlecht oder das Herkunftsland für die Teilnahme an den Aktionen keine Rolle spielen.
Schließlich soll es am Ende darum gehen, den persönlichen Dialog mit der Polizei so vielen Menschen wie möglich zugänglich zu machen. Zudem bliebe auch im Falle einer feineren Eingrenzung der Zielgruppe zu bedenken, dass doch jede/r Teilnehmer:in seine oder ihre ganz persönliche Geschichte mitbringt, gerade auch im Hinblick auf Erfahrungen mit Polizeisituationen im Heimatland oder hier in Deutschland. Ein breites Zielgruppenspektrum halten wir deshalb für sinnvoll.
Beteiligte
Aktuell sind an dem Projekt “Polizei und Geflüchtete im Dialog” in Augsburg ein ca. 35-köpfiges Kulturmoderator:innen-Team, 20 Unterkünfte sowie mehrere Kooperationspartner:innen aus dem Präventionsbereich aktiv. Im Hintergrund arbeitet das Koordinationsteam von BrückenBauen gemeinsam mit dem Präsidialbüro des Polizeipräsidiums Schwaben Nord an der Fortentwicklung des Projekts.
Ansprechpartnerin:
Miriam Wiebusch
miriam.wiebusch@gemeinsam-bruecken-bauen.de
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